· 

"365 Tage Border Collie"

 - DIE SACHE MIT DEM UNGEPLANTEN PFLEGEHUND



Es fühlt sich an wie ewig und 5 Jahre, seit ein Bordertier mit vor Stress weit aufgerissenen Augen in unser Haus gestolpert ist und erst mal beschlossen hat, jedem hier an die Gurgel zu gehen, der sich seiner Meinung nach falsch benimmt. Ich blicke auf das sehr platzsparende schwarz-weiße Fellknäuel, das sich auf der Couch neben mir eingekuschelt hat und muss schon etwas schmunzeln. Hätte ich mir denken können, dass er noch immer hier ist? Jap. Wundert es mich, dass ihn keiner will? Nope.

 

Wenn jemand zu mir sagt "Ich finde Huskies so toll, würd mir aber im Leben selbst keinen nehmen!" dann verurteile ich das absolut nicht, sondern bin froh über diese Erkenntnis. Denn dieser Mensch ist reflektiert genug zu verstehen, dass so ein Hund nicht in sein Leben passt. Ich wünschte mehr Menschen würden sich solche Gedanken machen, BEVOR sie sich einen Hund holen. Weil der ja so lieb und hübsch ist. Vielleicht noch eine Arbeitsrasse. Vom Hinterhof-Vermehrer, der jedem einen Hund gibt, der Geld über den Tisch schiebt. Und dann ist es schon passiert. Im Alter von 6 Monaten bis 2 Jahren landen die meisten unüberlegt angeschafften Hunde dann "wegen Überforderung" im Tierheim. Oft wegen rassetypischen Verhaltensweisen. Oh wow - wer hätte das kommen gesehen...?

 

Man kann vieles über mich behaupten, aber ich bin bei weitem kein Rassist was Hunderassen betrifft. Auch neben den Nordischen gibt es viele andere Hundetypen, die ich unglaublich toll finde und mit denen ich mir ein gemeinsames Leben vorstellen kann. Doch ich bin nicht der Typ Mensch, zu dem Hütehunde passen. Ein Border Collie schon gar nicht. Das sag ich nicht aus Boshaftigkeit oder weil ich was gegen diese Hunde habe - ganz im Gegenteil! Ich weiß über ihre Bedürfnisse, typische Eigenschaften usw. Bescheid und bin mir darüber im Klaren, dass das nichts für mich ist und wir auf Dauer miteinander nicht glücklich werden. Das sind hochspezialisierte Arbeitshunde, die klare Strukturen, gezielte Beschäftigung und bestenfalls einen rassespezifischen Job brauchen, sonst werden die gaga. Obviously. Mich nervt auch nicht die Tatsache, dass eine Arbeitsrasse arbeiten will - ich hab nicht umsonst Siberian Huskies aus einer Arbeitslinie! Nichts macht mich glücklicher als meine Hunde zu sehen, wie sie voller Begeisterung ihren genetisch mitgegebenen Talenten im Schlittenhundesport nachgehen können. Die Art der Zufriedenheit nach der Arbeit ist eine andere als beim Gassi gehen, Dummy suchen, Tricktraining oder anderen Beschäftigungen.

 

Und dann ist da der Hütehund, dessen Talent nun mal das Hüten ist. Wer schon mal einen Border Collie bei seiner Arbeit gesehen hat wird genauso beeindruckt sein wie ich. Richtig coole Sache und super schön anzusehen, wie der genetische Schalter umgelegt wird und der Hund total happy ist, seinen Job machen zu dürfen. Dass das auch mit viel Training verbunden ist sollte klar sein. Die Augen und Ohren des Hütehundes sind praktisch überall gleichzeitig, jeder kleine Reiz wird wahrgenommen, um früh genug auf eventuelle "Fehler im System" reagieren zu können. Was sind sie doch für kleine Monks. Absolut irre, absolut genial und absolut nix für mich! Auch mit diesem will-to-please kann ich persönlich nichts anfangen, mich nervt das eher.

 

Werden die Bedürfnisse des (Arbeits)Hundes nicht befriedigt, ja dann wirds richtig spannend! Dann schreddert der Husky "plötzlich" die Couch oder - wie in Finn's Fall - der Border seinen Menschen. Dass hier auch eine große Mensch-Hund-Beziehungsproblematik im Mittelpunkt stand ist offensichtlich. Wenn ein Hund laut Aussage des Besitzers "plötzlich und ohne Vorwarnung" zubeißt, verdrehen die meisten Hundetrainer:innen anfangs die Augen. Oft fehlt einfach jedes Wissen über Körpersprache und Beschwichtigungssignale des Hundes und wenn dieser schon um Hilfe schreit und nicht gehört wird, dann muss er eben deutlicher werden. Spätestens beim tatsächlichen Biss ist der Aufschrei dann groß. Dass dies auch hier der Fall war, war anfangs meine Vermutung, weshalb ich meiner damaligen Kundin in ihrer Verzweiflung meine Hilfe anbot und den Hund "vorübergehend" aufnahm, um mir ein eigenes Bild der Situation zu machen. Ich hätte nie falscher liegen können mit meiner Annahme.

 

Ab Tag 1 war mir klar, dass hier irgendwas nicht stimmte. Der Hund, der mich 3 Wochen vorher beim Mantrailing noch freudig begrüßte, hätte mich ohne mit der Wimper zu zucken geschreddert, weil ich es wagte mich ohne seine Zustimmung im Haus zu bewegen. Meinen Freund gleich als Hauptspeise hinterher, weil er ihn aufforderte die Pfoten vom Tisch zu nehmen. Um sich 15 Minuten später wieder zu uns auf die Couch zu kuscheln und Liebe einzufordern. Was zur Hölle war hier passiert?! 

 

So begann das Bootcamp. 24/7 Maulkorb, 1,5 Wochen lang. Damit steht und fällt alles. Ich gehe weder bei uns noch bei unseren Hunden irgendein Risiko ein. Denn wenn er austickt (und wir wussten anfangs ja nie, wann er wieder austickt), müssen wir ihn handeln können. Komplett gestörte Überreaktionen von einer Sekunde auf die andere waren die ersten Tage normal. Im Haus, im Auslauf, ohne Leine, mit Leine... Atmen durften wir gerade noch so in seiner Anwesenheit. Es war auch kein Hinschnappen und wieder weg aus Angst, Unsicherheit etc., sondern ein mehrfaches Zubeißen und total eskalieren. Auslöser war z.B. die Müllabfuhr, die ihm aus irgendeinem Grund nicht passte. Hört sich nach Spaß an oder? War es aber weder für den Hund noch für uns. Und ja, Hunde können selbst mit Maulkorb fressen, dauert dann halt länger, aber ist mit dem richtigen Modell möglich. Was der Border hingegen nicht konnte, waren Grenzen. Oder Regeln. Oder Respekt. Wieso, weshalb und warum das so war, habe ich in den nächsten Wochen und Monaten herausgefunden. Meine anfängliche Vermutung, dass ein gesundheitliches Problem vorlag, hat sich nach einem kompletten Check-up in der Tierklinik nicht bestätigt. Eine Kombination aus schlechter Zucht, noch schlechterer Sozialisation, nicht zur Hunderasse passenden Menschen und zu wenig Führung im Leben des sowieso schon unsicheren Hundes ergaben eine explosive Mischung - die irgendwann hochging. 

 

In keiner Art und Weise kritisiere ich Finn's Menschen, sie wussten es einfach nicht besser. Auch die Entscheidung den Hund abzugeben war bestimmt keine leichte, aber die einzig richtige, wenn man psychisch am Ende ist und Angst vor seinem eigenen Hund hat. Mir war bis zu diesen Vorfällen nicht viel aus seiner Vergangenheit bekannt, nur, dass er angeblich fremde Menschen und Hunde nicht so mag, weshalb mit Mantrailing als Beschäftigung angefangen wurde. Und der kleine Mann hatte da richtig Bock darauf und in der Trainingssituation bis auf Unsicherheit keine Probleme mit Menschen. Diskutiert hat er aber damals schon gerne mit Frauchen, z.B. wenns ums Einsteigen ins Auto ging. Doch das Phänomen hab ich tatsächlich öfter, da das Trailen ja viel Spaß macht und hier die Party steigt, nicht im Auto. Im Nachhinein betrachtet läuten bei mir in diesen Situationen allerdings schon die Alarmglocken. "Haha du bist ja lustig, Finn einfach hochheben... Das geht nicht." Little did I know... Ich war aber auch als Trainerin für Mantrailing und nicht für Verhaltenstraining da, weshalb ich darauf gar nicht so sehr achtete. Ja, man hätte es gar nicht so weit kommen lassen sollen. Ja, man hätte an dem Problem arbeiten können. Hätte hätte Fahrradkette... Mit viel Management und der Tatsache, sein Leben und den Umgang mit dem Hund um 180 Grad zu drehen. Die Frage ist immer, ob man als Mensch dazu bereit ist und das auch leisten kann. Ich brauchte die Frage nicht zu stellen, um die Antwort zu wissen. Sich auch das einzugestehen erfordert viel Mut. 

 

Seitdem ist vieles geschehen, viele Hochs und Tiefs haben wir zusammen erlebt. Oft war auch bei uns der Punkt erreicht, an dem wir ihn am liebsten ins nächste Tierheim gebracht hätten. Dieser Hund hat ganz neue Seiten der Frustration und Verzweiflung in mir zum Vorschein gebracht. Der Grund war gar nicht immer zwingend die Aggressionsthematik (da war das Schlimmste nach 1 Woche gegessen), sondern dass er sich eben verhält wie ein verpfuschter Border Collie. Und das kann man ihm nun mal nicht übel nehmen. Mich als "Hütehund-Profi" - hier bitte Lachen einsetzen - hat das wahnsinnig gemacht und leicht bis mittelschwer überfordert. Ich spreche seit 21 Jahren Husky, aber kein Wort Hüti. So what... Challenge accepted, hilft ja nix! Finn lässt sich von mir inzwischen übrigens problemlos und ohne Stress zu haben überall anfassen und hochheben, dieses Vertrauen haben wir uns hart erarbeitet.

 

Das Bordertier hat sich wirklich großartig entwickelt und ich bin stolz. Auf ihn, auf mich, auf meinen Freund und auf unsere Hunde, die all das mitgemacht und den Hüti akzeptiert haben. Eigenlob stinkt? Danke, ich nehm ein ganzes Vollbad davon! Ich durfte mich als Mensch und Hundetrainerin seit seinem sehr spontanen Einzug damals extrem weiterentwickeln, über den Tellerrand schauen und am eigenen Leib erfahren, dass man gewisse Dinge einfach nicht "schönkeksen" kann (und ich bin ein großer Fan von "schönkeksen"). Schon gar keine Grenzen und Regeln, die es im Leben nun mal gibt und die der Border bisher nicht kannte. Und der war in den ersten Tagen wirklich gefährlich, was jemand wie ich nicht einfach mal so daher sagt. Auch Jack hatte früher erhöhtes Aggressionsverhalten gegenüber Menschen, das war aber tatsächlich ein Scheiß gegen das, was wir uns mit Finn ins Haus geholt hatten. Der Alltag ist kein Labor, in dem ich immer die optimalen Bedingungen für Training schaffen kann. Außer ich sperr den Hund 23 Stunden am Tag weg, dann gehts vielleicht. Grüße gehen raus an alle, die meinten mich schlecht reden zu müssen, aber dann ganz schockiert waren, als ich anbot ihnen den Hund zu bringen, damit sie es besser machen können. Seltsam, dass ihn dann niemand in den eigenen vier Wänden haben wollte.

 

Was mich tatsächlich trauriger machte war die Tatsache, dass mir unterstellt wurde, ich hätte den Hund nur genommen, um mich toll darstellen zu können. WTF?! Sowas hab ich erstens nicht nötig und zweitens bringt mir ein Border Collie (!!!) null Vorteile in meinem Leben - hört sich schlimm an, ist aber so. Denn ich bin mir bewusst, dass das keine zu mir passende Hunderasse ist. Für mich war es anfangs sehr schwer zu lernen, dass ich diesem Hund einen Gefallen damit tue, wenn ich ihm sage was er machen soll und nicht alles selbst entscheiden lasse. Und dem Bordertier ist es ebenfalls anfangs sehr schwer gefallen, darauf zu vertrauen, dass Menschen gute Entscheidungen treffen können, damit er sich besser angeleitet und sicherer durchs Leben bewegen kann. Es muss viel schief gelaufen sein, wenn ein Hund mit so gutem will-to-please sich irgendwann von niemandem mehr was sagen lässt. Manche Hunde muss man eben mehr an die Hand nehmen als andere, damit sie sich in dieser verrückten Welt zurechtfinden. Und das ist absolut nichts Schlimmes.

 

Wusste ich damals was auf mich zukommt? Nope. Würde ich es mit jetzigem Wissensstand wieder tun? Keine Ahnung. Fakt ist: ich habe einem verzweifelten Mensch-Hund-Team geholfen und zumindest das bereue ich keine Sekunde. Auch wenn hier seit Finn's Einzug vieles anders und schwieriger ist. Der Hund hatte eine Chance verdient und sollte nicht mit Aggressionsthematik gegenüber Menschen im Tierheim landen, denn solche Hunde will kaum jemand und das ist traurige Tatsache. Keinen meiner Kundenhunde soll so ein Schicksal treffen, wenn es irgendwie zu verhindern ist. Vielleicht war es naiv und dumm von uns ihn zu nehmen, damit kann ich leben. Und die, die am allerwenigsten über uns privat wissen, haben grundsätzlich am meisten Meinung. Auch damit kann ich ganz gut leben, nichts könnte mir mehr egal sein. Der Hund hat eigentlich ein cooles Leben hier. Inzwischen kenne ich übrigens einige Hundetrainer:innen, die ebenfalls so gehandelt haben wie ich, mit Kundenhunden "zwangsbeglückt" wurden und ihr Bestes für Hunde geben, die deren Besitzer aufgegeben hatten. Vor jedem einzelnen hab ich mega Respekt!

 

Noch immer sprechen der verrückte Border und ich nicht dieselbe Sprache, doch ich bin ehrlich bemüht seine zu lernen. Auch wenn ich noch immer keinen Bock auf Hüti hab und absolut lost bin in dieser mir unbekannten Welt. Ich habe mich inzwischen mit meinem "Schicksal" abgefunden, dass die passenden Menschen für das Bordertier mit seinen Special Effects vermutlich irgendwo verschollen sind (oder tot) und er seine Adoptionspapiere schon längst uns untergejubelt hat. In diesem Fall werde ich mein Bestes versuchen um ihm ein schönes Leben zu ermöglichen. Obwohl ich weiß, dass ich diesem Hundetyp vermutlich nicht in dem Ausmaß das bieten kann, wie ich es mir für ihn wünschen würde, wir beißen uns da irgendwie durch. Sollte sich jedoch zufällig ein besserer Platz ergeben, darf er gerne sein Glück finden. Ich steh ihm bestimmt nicht im Weg. Bis dahin hab ich wohl einen Border Collie, Sachen gibts!

 

Und manchmal hab ich dich doch ganz gern, Mr. Ted Finnigan Schmosby aka. Kleiner Trottel :)

 


ARBEITSRASSEN SIND KEINE EASY CHEESY FAMILIENHUNDE, DIE EINFACH SO NEBENBEI MITLAUFEN!

Auf dass es der letzte Depp hoffentlich irgendwann versteht.

#augenaufbeimhundekauf


 

 

sᴀʀᴀʜ & ᴄʀᴇᴡ

SIBERIAN.MISCHIEF.MANAGED



- DOG TALK -

"Dieser Artikel beinhaltet ausschließlich meine persönliche Meinung und diverse Erfahrungen - plus eventuell ein Fünkchen Sarkasmus."

© 2022    CANINE • connected - Sarah Felberbauer